
Studie: Bürgerämter in Deutschland. Organisationswandel und digitale Transformation
Modern und bürgernah, unkompliziert und nutzerfreundlich. Das Konzept Bürgeramt als „one-stop shop“. Ein Versprechen an die Bürger, alle Dienstleistungen der Verwaltung an einem Ort in Anspruch zu nehmen.
Wird dieses Versprechen gegenüber den BürgerInnen im Zeitalter der Digitalisierung weiterhin erfüllt? Und wie ergeht es den MitarbeiterInnen der Bürgerämter? Sehen Sie Chancen auf Entlastung und effizientes Arbeiten? Oder stehen die Nachteile (noch) im Vordergrund?
Die vorliegende Studie hat die Situation der Bürgerämter im Allgemeinen und der Digitalisierung im Besonderen vorgenommen.
Das sollten Sie wissen
- Mitarbeiter und die Amtsleitung sind die wichtigsten verwaltungspolitischen Akteure und haben den stärksten Einfluss. Parteipolitik und politische Gremien spielen bei der Ausgestaltung von Bürgerämtern keine große Rolle.
- Wichtigste Rahmenbedingungen für eine gute Aufgabenerfüllung sind die Anzahl, die Qualifikation und die Motivation der Mitarbeiter sowie der Informationsfluss zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
- Betrachtet man die konkrete Arbeitssituation, so ist die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter unstrittig hoch. Die Belastungen haben zudem in den letzten fünf Jahren zugenommen.
74% der befragten Verwaltungsmitarbeiter erleben, dass die Anzahl der zu erledigenden Aufgaben „etwas zugenommen“ und „stark zugenommen“ hat.
90% sehen eine Arbeitsverdichtung für die Mitarbeiter und
82% erleben, dass die Arbeitsbelastung durch E-Mail-Aufkommen (Backoffice) zugenommen hat.
59% sagen aus, dass die permanente Erreichbarkeit durch die Führungskräfte zugenommen hat. - Trotzdem ist die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich besser als vermutet. Möglicherweise liegt das am in der Regel guten Betriebsklima.
- Im Bereich Arbeitsorganisation bestimmen Gestaltungselemente wie weitgehende Öffnungszeiten und die Allzuständigkeit weiterhin den Arbeitsalltag. Eine Neuerung ist die Einführung von Terminsprechstunden.
- Die Digitalisierungstiefe in deutschen Bürgerämtern verharrt auf einer sehr niedrigen Stufe. In den letzten Jahren konnte zwar der erste Reifegrad der Digitalisierung, die Informationsfunktion von E-Government verbessert werden. Im Hinblick auf den zweiten Reifegrad, die Kommunikationsfunktion zwischen Verwaltung und Bürger, und insbesondere der dritte Reifegrad, die Transaktionsfunktion, ergeben sich jedoch noch erhebliche Lücken und Defizite.
- window dressing“, also den Digitalisierungsfortschritt nach außen zu signalisieren ohne jedoch faktisch Erleichterung für Bürger und Beschäftigte zu realisieren, führt dazu, dass die papiergebunden Erledigung für den Bürger komfortabler erscheint.
- Bezogen auf die Veränderungen in den letzten fünf Jahren ergibt sich ein zwiespältiges Bild im Hinblick auf die Performanceindikatoren: es ist zwar zu einer Erhöhung der Servicequalität gekommen, die Verfahrensdauer hat jedoch zugenommen.
- Die Effekte von Stellenabbau und Stellenzuwachs auf Arbeitsverdichtung, Wartezeiten, Servicequalität und Arbeitsklima zeigen, dass ein angemessener Personaleinsatz notwendig ist.
- Organisatorische Veränderungen wie die Einführung von Terminsprechstunden führen zu klaren Verbesserungen. Die Bürger- und Mitarbeiterzufriedenheit wird gesteigert, Wartebereiche werden entlastet und die Arbeitsatmosphäre verbessert. Auch Arbeitsabläufe können besser geplant werden.
- 27% der Führungskräfte und Mitarbeitende nennen als Digitalisierungsbarrieren im Bürgeramt rechtliche Hürden wie Schriftformerfordernis. Gefolgt von 26% technologischer Hürden. Aber auch die Steuerung der Digitalisierung und die Kooperation zwischen den Ämtern und politischen Ebenen stellen Hürden dar.
- Die fortschreitende Digitalisierung hat für die Mitarbeiter auch dysfunktionale und nicht beabsichtigte Effekte wie Überforderung oder Überlastung. Beispielsweise Ausfall der IT und Software sowie ständige Erreichbarkeit durch E-Mail und zusätzliche Backoffice-Arbeit. Im Bereich der positiven Effekte (der Digitalisierung) werden die Erhöhung der Transparenz von Bearbeitungsständen, die Verringerung der Bindung an klassische Öffnungszeiten und Werktage und die Verbesserung der Verwaltungsprozesse genannt.
- Aus Sicht der Führungskräfte wird die Wirkung der Digitalisierung insgesamt positiver eingeschätzt. Das gilt für die Wirkungen im Bereich der Außenwirkung aber auch innerhalb der Organisation Bürgeramt. Dort vor allem für die Verbesserung der Prozesse, jedoch auch für die Verkürzung von Verfahrens- und Wartezeiten sowie der Leistungsqualität.
Mehr zum Inhalt
Damit Sie bei Bedarf schnell zum ausführlichen Text finden, haben wir für Sie die Seitenzahlen in Klammer eingefügt.
Personal und Organisation im Bürgeramt
Verwaltungspolitische Akteure
- Laut Verwaltungsbefragung haben Mitarbeiter und die Amtsleitung und den stärksten Einfluss auf die Ausgestaltung des Bürgeramtes. Sie sind die wichtigsten Akteure. Ihnen folgen die Bürger. (30)
- Zusammengefasst zeigt sich, dass Parteipolitik bei der Ausgestaltung der Bürgerämter keine große Rolle spielen. (32)
Erwartungen an „gute“ Arbeitsbedingungen
- Die personalbezogenen Aspekte stehen im Vordergrund. Die Anzahl, die Qualifikation und die Motivation der Mitarbeiter sowie der Informationsfluss zwischen Mitarbeiter und Führungskraft sind für alle die wichtigste Bedingung für eine gute Aufgabenerfüllung. (33)
Personelle Rahmenbedingungen
- Kleiner und mittlere Kommunen haben weniger Vollzeitäquivalente als große Kommunen. (34)
- Die Befragung zeigt, dass in mehr als der Hälfte der Kommunen in den letzten fünf Jahren keine Veränderung der Vollzeitäquivalente stattgefunden. (35)
- Wenn es eine Abnahme von Vollzeitäquivalente im Bürgeramt gegeben hat, dann gewichten Bürgermeister dies mit Finanzproblemen (48%), mit rückläufigen Einwohnerzahlen (22%) und dem verstärkten Einsatz von e-Government (15%). (37)
- Springerdienste, um Personalengpässen entgegenzuwirken, werden nur von einer Minderheit wahrgenommen. (37)
- Die Tendenz geht dahin, dass Bürgerämter nicht mehr von Stelleneinsparungen betroffen sein werden aufgrund der Einsicht, dass es nicht sinnig ist, im publikumsintensiven Bereich zu sparen. (39)
Handlungsorientierung, Qualifikationsniveau, Personalsituation
- Bezogen auf die Frage, wie es um die Handlungsorientierung in den Bürgerämter steht, geben die Befragten an, dass diese tendenziell vorhanden ist. Wobei die Kundenorientierung am höchsten gewichtet und als am prägnanteste angegeben wird. (41)
- Eine deutliche Mehrheit gibt an, dass das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter für die Aufgabenerledigung angemessen ist. (42)
- Wenngleich ein beachtlicher Anteil der Befragten die Digitalkompetenzen der Mitarbeiter für ausreichend hält (in Karlsruhe ca. 64%; in Bochum ca. 44%), lässt sich eine offenkundige Qualifikationslücke und entsprechender Qualifikationsbedarf im Bereich von Digitalkompetenzen feststellen. (43)
- Zusammenfassend kann man sagen, dass es Unterschiede in der Wahrnehmung des Bürgeramts zwischen Bürgermeister, Personalratsvorsitzenden sowie den Mitarbeitern gibt. Markante Unterschiede gibt es im Bereich der Personalfluktuation. Bürgermeister schätzen dies eher gering ein. Mitarbeiter mehrheitlich als hoch. (45)
Arbeitsbedingungen, Belastungsfaktoren, Motivation
- Von allen werden der Termin- und Zeitdruck, störende Unterbrechungen bei der Arbeit, ein hoher Geräuschpegel in den Räumlichkeiten, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und zu hohe Arbeitsdichte als tendenziell belastende Faktoren genannt. (46)
- Ein gespaltenes Bild gibt es hinsichtlich der Ermessensspielräume im Bürgeramt. (46)
- Die Befragten sind sich einig, dass vor allem die Ansprüche der Bürger zugenommen haben, die Anzahl der zu erledigenden Aufgaben sowie die Beratungsintensität zugenommen hat. Ebenso wird die Rechtsmaterie komplexer. (47)
- Auffallend hoch ist trotz wachsender Anforderungsprofile und zunehmender Belastungsfaktoren, die hohe Mitarbeiterzufriedenheit. (49)
Arbeitsorganisation und Spezialisierung
- Die Ergebnisse zeigen, dass das Modell der Allzuständigkeit mit mehr als 80% dominiert. Die Spezialisierung der Aufgabenerledigung liegt nur bei einem Viertel der Befragten. (50)
- Terminsprechstunden machen die Arbeit planbarer. Tendenziell gilt: Je größer die Kommune, desto eher sind dort auch Terminsprechstunden eingerichtet worden. (51)
- Fast 75% der Bürgerämter haben mehr als 30 Stunden in der Woche geöffnet. (51)
Digitalisierung
Bürgerämter sind der „digitale Erstkontakt“. Wie weit ist die Digitalisierung in den Bürgerämtern fortgeschritten? Was verstehen die Mitarbeiter und „Digitalisierung“?
Digitalisierung aus Sicht der Mitarbeiter
- Mit 94% erreicht die elektronische Beantwortung von Bürgeranfragen, also die E-Mail-Kommunikation den höchsten Wert im Digitalisierungsverständnis der Mitarbeiter. Gefolgt vom Online-Terminmanagement mit 93%. (55)
- Der Mitarbeiterbefragung Karlsruhe zufolge, verstehen 67% das Einscannen von Dokumenten inklusive elektronischem Ablagesystem, 64% der Befragten das Anbieten einer Online-Terminvereinbarung und 44% das vollständige elektronische Abwickeln von Dienstleistungen als Digitalisierung. (56)
Digitaler Kontakt zur Stadtverwaltung
- Die Ergebnisse aus Bürgerumfragen zeigen, dass digitale Recherchen gegenüber konventionellen Suchverfahren mittlerweile klar dominieren. (56)
- Die Bürgerbefragung zeigt auch, dass die Mehrheit der Bürger den physischen Kontakt zum Bürgeramt wählt. Was daran liegt, dass oft ein persönliches Erscheinen notwendig ist, und die digitale Umsetzung für medienbruchfreie abschließbare Dienstleistungen gering ist. (58)
Digitales Angebot und Digitale Reife
Für die unterschiedlichen Entwicklungsgrade digitaler Angebote hat sich der Begriff „digitale Reife“ (digital maturity) geprägt.
- Aus der Bürgerumfrage geht hervor, dass Passangelegenheiten, An-/Um- und Abmeldungen der Wohnung sowie Kfz-Angelegenheiten das Feld der Kontaktanfragen anführen. (59)
- Die Verwaltungsbefragung zeigt in Tabelle 10 die Digitale Reife in deutschen Bürgerämtern. Keine Dienstleistung der befragten Bürgerämter erreicht im Bereich „kann teilweise online erledigt werden“ einen Wert von 50%. Der Höchstwert liegt bei 44% für die Abwicklung von Urkunden. (61)
- Durchweg nur selten möglich sind die Online-Abschließbarkeit von Verwaltungsleistungen (Transaktionsfunktion). (61)
Erwartungen an digitale Angebote, Nutzung und Ursachen für Nicht-Nutzung
- Als Hauptgründe für die Nutzung digitaler Verwaltungsdienste geben 91% der Bürger Zeitersparnisse an. 73% halten die Reduktion von Verwaltungskosten und 53% der Bürger die eigenen Kosteneinsparungen für wichtig. (63)
- Hinsichtlich einer nutzerorientierten Abwicklung von e-Services zeigen die Ergebnisse der Bürgerumfrage, dass die Bürger-Erwartungen und die Verwaltungsrealität weit auseinanderklaffen. (63)
- Umstellungsprobleme, wie kurzfristig anfallender Mehraufwand und vorübergehend steigendes Arbeitsvolumen erklären, warum Mitarbeiter die Einführung komplett medienbruchfreier Vorgangsabwicklungen als weniger wichtiges Merkmal als Bürger ansehen, um ein bürgerfreundliches Leistungsangebot im Bürgeramt anzubieten. (66)
- Als Gründe für die Nicht-Nutzung geben 49% der Befragten in der Bürgerbefragung an, dass sie auf eine persönliche Beratung nicht oder eher nicht verzichten können. Und 25% bemängeln die Komplexität der Online-Antragsstrecken und vorhandene Medienbrüche. (67)
- Zudem zeigt sich ein deutlicher Generationeneffekt bei der Wichtigkeit der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. (68)
- Aus Sicht der Verwaltungsleistungen liegen wesentliche Engpässe der Digitalisierung zum Beispiel in den Authentifizierungs-, Anwesenheits- und Unterschriftenerfordernissen. Dies macht die medienbruchfreie Abschließbarkeit nachgefragter Verwaltungsdienstleistungen des Bürgeramts nicht möglich. (69)
Performanz der Bürgerämter
Wie wirken sich institutionelle, personelle und technologische Veränderungen (unabhängige Variable) auf die Performanz der Bürgerämter (abhängige Variable) aus? Und welche Effekte bringen Personal- und Organisationsveränderungen sowie die Einführung digitaler Prozesse mit sich?
Anforderungen an eine bürgerorientierte Aufgabenwahrnehmung
- Die Aufgabenwahrnehmung von Bürgerämtern kann in unterschiedliche Performancekriterien unterteilt werden. Wie Servicequalität (Schnelligkeit der Aufgabenerledigung und die Beschwerdetätigkeit) und Dienstleistungsqualität (Qualität der Leistung). (71)
- Am wichtigsten für Bürger, Bürgermeister, Personalratsvorsitzende und Mitarbeiter sind freundliche und hilfsbereite Mitarbeiter, eine gute Beratung und Erreichbarkeit sowie die Verständlichkeit von Formularen und Anträgen. (74)
- Bemerkenswert ist, dass die Abwicklung von Dienstleistungen im Internet als Anforderung an eine bürgerfreundliches Bürgeramt einen geringeren Stellenwert einnimmt. Was im Hinblick auf die Digitalisierung einige Fragen aufwirft. (74)
Aufgabenerfüllung im Bürgeramt
- Im Ergebnis zeigt sich, dass Bürgermeister und Personalratsvorsitzenden die Aufgabenerledigung in den Bürgerämtern überaus positiv bewerten. (76)
- Auch Bürger schätzen die Beratungsqualität mit circa 85% als sehr gut ein, ebenso wird die Erreichbarkeit sowie Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Verwaltungsmitarbeiter als gut eingeschätzt. Schlechter schneiden die Wartezeiten und die Abwicklung von Dienstleistungen im Internet ab. (77)
- Die Ergebnisse der Verwaltungsbefragung zeigen, dass es in den letzten fünf Jahren zwar zu einer Erhöhung der Servicequalität kam. Andererseits jedoch hat die Verfahrensdauer zugenommen. Was mit veränderten Bundesgesetzten zu tun hat, auf die Bürgerämter nur begrenzt Einfluss haben. (80)
Performanz-Effekte von Personal- und Organisationsveränderungen
Betrachtet wurde, welchen Einfluss
- Personalabbau-/aufwuchs
- die organisatorische Umschichtung und
- Digitalisierungsansätze
auf Performancekriterien wie beispielsweise Servicequalität, Wartezeiten und Belastungssituationen der Mitarbeiter haben.
- In Bürgerämtern, in denen Personal abgebaut wurde, wurde als negativster Effekt sowohl von den Mitarbeitern, Bürgermeistern als auch Personalratsvorsitzenden die Arbeitsverdichtung genannt. Und 56% der Bürgermeister und 72% der Personalratsvorsitzende sehen das Arbeitsklima als belastet. (83)
- In Bürgerämtern, die eine Zunahme der Anzahl der Vollzeitäquivalente verzeichnen, benennen, dass es zu einer Verbesserung der Service-Qualität und des Arbeitsklimas gekommen ist. Ebenso haben sich die Wartezeiten verkürzt. (84)
- Organisatorische Veränderungen wie die Einführung von Terminsprechstunden führen zu klaren Verbesserungen. Die Bürger- und Mitarbeiterzufriedenheit wird gesteigert, Wartebereiche werden entlastet und die Arbeitsatmosphäre verbessert. Auch Arbeitsabläufe können besser geplant werden. (85)
Performanz-Effekte der Digitalisierung: Verbesserung oder dysfunktionale Effekte?
Unabhängig der Digitalisierung ist die Arbeitsbelastung im Bürgeramt hoch und in den letzten Jahren noch angestiegen. Aufgabenzuwachs und Aufgabenverdichtung wie Termin- und Zeitdruck, störende Unterbrechungen und der Geräuschpegel in den Räumlichkeiten sowie mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten wirken sich aus. (86)
Im Zuge der Digitalisierung stellen sich zwei Fragen:
- Welchen Stellenwert haben verschiedene Digitalisierungselemente als Kriterium für eine zufriedenstellende Aufgabenerledigung im Bürgeramt?
- Inwieweit halten die Mitarbeiter eine vollständige onlinebasierte Abwicklung von Verwaltungsdienstleistungen überhaupt für eine wichtige Anforderung an eine bürgerfreundliches Bürgeramt?
Laut der Mitarbeiterbefragung in Bochum und Karlsruhe
- erhält die elektronische Informationsbereitstellung durchweg die höchsten Zustimmungswerte mit 94% und 93%.
- ist der elektronische Kontakt mit den Bürgern und die vollständige elektronische Bearbeitbarkeit der Aufgaben den Mitarbeitern tendenziell weniger wichtig.
Die Reaktion auf die Frage, inwieweit die vollständige onlinebasierte Abwicklung von Verwaltungsdienstleistungen eine wichtige Anforderung für ein bürgerfreundliches Bürgeramt sind, ist in beiden Städten eher zurückhaltend. (87)
Negative Effekte
Die fortschreitende Digitalisierung bedeutet für die Mitarbeiter nicht nur Arbeitsentlastung, sondern auch dysfunktionale und nicht beabsichtigte Effekte wie Überforderung oder Überlastung. Beispielsweise Ausfall der IT und Software sowie ständige Erreichbarkeit durch E-Mail und zusätzliche Backoffice-Arbeit. (88)
- Dysfunktionale Effekte durch die Überbeanspruchung von E-Mails.
Sie führt von rein quantitativen Überlastungseffekten über psychologische Effekte wie Stress, dem permanenten Gefühl der Erreichbarkeit bis hin zur Verschiebung der Arbeitszeit vom Front- ins Backoffice. Die erhöhte Arbeitstaktung führt zu einer steigenden Arbeitsbelastung. (92)
- Eine weitere negative Folge der Digitalisierung: das Gefühl der Kontrollierbarkeit.
Im Prinzip sind intensivere Verhaltens- und Leistungskontrollen möglich. Beispielsweise das Aufzeichnen des Browser-Verlaufs, tatsächliche Arbeitszeiten, die durchschnittliche Fallbearbeitungsdauer sowie die Erfassung von Fallzahlen. (92) - Medienbruch, Technik und Software als Negativ-Effekt
Nicht durchgängige Antragsstrecken führen zu einem erhöhten Arbeitsaufwand. Bei teilautomatisierten Arbeitsschritten bekommen Mitarbeiter nur noch die komplexeren Fälle, was in der Summe als anstrengender erlebt wird. Technikausfälle und Software-Probleme binden zusätzlich Ressourcen. (92)
Die Transparenz von Bearbeitungsständen, die Verringerung der Bindung an klassische Öffnungszeiten und Werktage und die Verbesserung der Verwaltungsprozesse werden positiv gewertet. (90)
Die Sicht der Führungskräfte
- Die Wirkung der Digitalisierung wird insgesamt positiv eingeschätzt. Das gilt hinsichtlich der Außenwirkung aber auch innerhalb der Organisation des Bürgeramts. Dort vor allem für die Verbesserung der Prozesse, jedoch auch für die Verkürzung von Verfahrens- und Wartezeiten sowie der Leistungsqualität. (93)
- Die Verlängerung von Verfahrensdauern wird teilweise im Zusammenhang mit der Digitalisierung gesehen. Es kommt zu Verzögerung anstatt zu Beschleunigung, wenn Medienbrüche vorliegen wie beispielsweise elektronische Bezahlfunktionen. (93)
Die Zusammenfassung
Fast jede Stadt mit über 15.000 Einwohnern hat ein Bürgeramt. Das Erfolgsmodell Bürgeramt ist jedoch in den letzten Jahren durch unterschiedliche Aspekte und durch die Diskussion um eine stärkere Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen unter Druck geraten. (97)
Die institutionellen und personellen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren teilweise erheblich verändert.
Bezüglich der Performanz der Bürgerämter ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Zum einen herrscht hohe Zufriedenheit, zum anderen hat die Reduzierung von Personal zu Leistungseinbußen geführt. Und die positiven Effekte der Digitalisierung halten sich bislang in Grenzen.
Die Kontextfaktoren wie Parteipolitik, Gemeindegröße und Bundesland spielen bei der Erklärung der Performanz der Bürgerämter ausweislich der vorliegenden Analyse keine Rolle. Angelegenheiten und die Ausgestaltung des Bürgeramts werden in politischen Gremien selten diskutiert. (101)
Welche Reformvorschläge ergeben sich aus der Untersuchung?
Wichtig sind eine angemessene Personalausstattung, verantwortungsvolle Führungsstrukturen und engagierte Mitarbeiter. (101)
- Bei Unterbesetzungen sind Personalaufwüchse geboten.
- Es muss verstärkt über die Einstufung der Arbeit im Bürgeramt nachgedacht werden.
Eine weitere Baustelle ist die Digitalisierung. Vor allem im Bürgeramt wäre ein Ausbau digitaler Angebote gerechtfertigt und notwendig. Vor allem hinsichtlich (101)
- Authentifizierungs-,
- Anwesenheits- und Schriftformerfordernisse
- Dokumentationspflichten
- Datenschutzbestimmungen,
- Aufbewahrungspflichten,
- elektronische Bezahlfunktion und
- generell technischen Problemen.
Reformen bezüglich einer größeren Nutzerfreundlichkeit von Online-Angeboten, vor allem für Dienste, die stark nachgefragt werden (101)
- Passangelegenheiten,
- An- / Um- / Abmeldungen der Wohnung.
Darüber hinaus muss bei zukünftigen Digitalisierungsprojekten
- den Mitarbeitern mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
- die Mitarbeiter verstärkt in die organisationsinternen Veränderungsprozesse einbezogen werden.
- die Gestaltung der Verwaltungsprozesse und -strukturen so sein, dass digitale Innovationen spürbare Arbeitsentlastungen für Mitarbeiter und Vereinfachungen für Bürger entstehen. (102)
Unser Fazit
Die Studie beleuchtet die Situation der Bürgerämter und gibt spannende Einblicke. Durch den Mehrperspektivenansatz ist es möglich einen Blick aus verschiedenen Perspektiven zu erhaschen. Was denken Mitarbeiter, Bürgermeister und Bürger wirklich? Jedoch ergeben sich manche Perspektiven nur aus dem Vergleich zweier Kommunen. Daraus ein Bild für alle Bürgerämter abzuleiten, ist vielleicht zweifelhaft.
Nichts desto trotz gibt die Studie Impulse und Ansatzpunkte für Ihr Bürgeramt. Und wenn es nur darum geht, dieselben Fragen zu stellen und zu überprüfen, wie Ihre Mitarbeiter oder Bürger manches erleben. Wie fällt deren Bewertung aus? Kommen sie zu der gleichen Einschätzung? Oder schneidet Ihr Bürgeramt vielleicht sogar viel besser ab?
Eines ist sicher: Die Umsetzung des OZG wird vor allem für Bürgerämter und deren Service ein Treiber in Richtung Digitalisierung sein. Und damit verbunden für die Verwaltungsprozesse intern. Daher ist es sinnvoll, sich die Leistungen und die Situation vor Ort genau anzuschauen. Machen Sie aus Betroffene Beteiligte. Durch Interviews und das Abfragen von Verbesserungspotenzialen ganz konkret auf das eigene Bürgeramt hin.
Wir werfen gern einen Blick auf Ihr Bürgeramt!
Über ILTIS
ILTIS steht für die erfolgreiche Implementierung Ihrer neuen Geschäftsmodelle und Veränderungsvorhaben. Dabei bringen wir Fähigkeiten, Prozesse und Systeme so zusammen, dass daraus wirkungsvolles Handeln resultiert.